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Die dramatische Abnahme der Biodiversität passiert derzeit auch vor unserer Haustür, und dafür gibt es klar belegbare Zahlen: Eine von Prof. Dr. Erhard Strohm, Professor für Zoologie an der Universität Regensburg, geleitete Studie zeigte, dass die Zahl der nachweisbaren Wildbienenarten in zwei Untersuchungsgebieten in Niederbayern seit 1996 auf die Hälfte zurückging und das nicht auf intensiv genutzten Agrarflächen, sondern in Naturschutzgebieten. Vergleichende Untersuchungen der Zoologischen Staatssammlungen am Keilberg bei Regensburg zeigten einen ähnlich dramatischen Rückgang der Artenzahl von Schmetterlingen (Habel et al. 2016, Conservation Biology). Die Gesamtbilanz ist dramatisch: nach der viel beachteten Krefelder Studie ist innerhalb von 20 Jahren die Biomasse, also die Gesamtmenge an Fluginsekten, zu denen u. a. Wildbienen, Hummeln, Fliegen, Schmetterlinge, Käfer und Mücken gehören, um 75 % gesunken (Hallmann et al., 2017, PLoS One).
Insekten sind weltweit die artenreichste Tiergruppe und sie sind unentbehrlich für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts von Ökosystemen, zum Beispiel Bienen und Schmetterlinge als Bestäuber, Schlupfwespen als natürliche Regulatoren von Schädlingen sowie viele andere als zentrale Bestandteile von Nahrungsketten. Auch deshalb geht mit dem Insektensterben ein dramatischer Rückgang der heimischen Singvögel einher, die ihre Jungtiere ausschließlich mit Insekten und Insektenlarven ernähren. So sind Zaunkönig und Braunkehlchen schon zur Seltenheit geworden; Goldammer und Feldlerche sind im Niederbayrischen Inntal von 1996 bis 2011 um etwa 90 % zurückgegangen.
Die gleiche Ansicht 1967 und
Feuchtwiese 1967, im Hintergrund Schloss Wörth an der Donau (Foto: © Otto Mergenthaler)Feuchtwiese 1967, im Hintergrund Schloss Wörth an der Donau (Foto: © Otto Mergenthaler)
und 2017
Kartoffelacker 2017, im Hintergrund Schloss Wörth an der Donau (Foto: © Fridtjof Gilck)Kartoffelacker 2017, im Hintergrund Schloss Wörth an der Donau (Foto: © Fridtjof Gilck)
Das Verschwinden von Wildpflanzenarten verringert zusätzlich das Nahrungsangebot von Insekten und samenfressenden Singvögeln. "Trotz Ausweitung der Naturschutzbemühungen in den letzten 20 Jahren, trotz Natura 2000, Fauna-Flora-Habitat- und Wasser-Rahmenrichtlinie ist die Zahl der gefährdeten Pflanzenarten nach der Anfang Dezember letzten Jahres veröffentlichten Roten Liste gleich geblieben", sagt Prof. Dr. Peter Poschlod, Inhaber des Lehrstuhls für Ökologie und Naturschutzbiologie an der Universität Regensburg. Vergleichbare Studien seiner Arbeitsgruppe insbesondere in Mooren, Flussauen und Grünlandgebieten zeigten einen zum Teil drastischen Wandel und eine Monotonisierung der Vegetation sowie ähnliche Rückgänge der Pflanzenartenvielfalt in zahlreichen Naturschutzgebieten Bayerns und Baden-Württembergs. Darunter sind auch solche, die bereits in den 1930er Jahren als Schutzgebiete ausgewiesen wurden. Seit Anfang dieses Jahrtausends fördert Prof. Poschlod deshalb neben dem Schutz von Pflanzenarten in ihren Lebensräumen (in situ) als zusätzliche Lebensversicherung auch deren Schutz ex situ. Mehr als 160 gefährdete Pflanzenarten sind inzwischen im Botanischen Garten der Universität Regensburg in Kultur, mehr als 700 Arten sind in der Genbank zu Wildpflanzen eingelagert, die bisher leider nur durch zeitlich befristete Projekte gefördert wird. Aktuell koordiniert er das Projekt WIPs-DE II, in dem standardisierte Verfahren des ex situ-Schutzes für 92 Verantwortungsarten Deutschlands erarbeitet und umgesetzt werden.
Die genannten Befunde versetzen ökologisch interessierte Biologen, vor allem Ökologen, Zoologen, Botaniker und Umweltschützer, in Alarmbereitschaft. Im November 2018 fand die 14. Konferenz der Vereinten Nationen zum Schutz der Biologischen Vielfalt (COP 14) in Ägypten statt, auf der 190 Länder darüber berieten, wie Tiere, Pflanzen und ihre Lebensräume besser geschützt werden können. Auf dem Internationalen Insektenschutzsymposium am Naturkundemuseum Stuttgart 2018 wurden die Gründe für den Rückgang der Insekten diskutiert. Botaniker und Zoologen, darunter auch Prof. Dr. Joachim Ruther, Professor für Chemische Ökologie an der Universität Regensburg und Spezialist für die chemische Kommunikation von Insekten, deckten die Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt auf und erarbeiteten konkrete Lösungsvorschläge und Empfehlungen für die Politik in Form eines 9-Punkte-Aktionsplans. "Die Umsetzung dieses ambitionierten Plans dürfte eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden", kommentiert Prof. Ruther.
Insbesondere die Schaffung großer, strukturarmer Agrarflächen mit Monokulturen und Flurbereinigung sowie ein zu hoher Stickstoffeintrag durch Überdüngung sind Hauptgründe für den Artenschwund bei Pflanzen und damit auch bei Insekten, wie Prof. Peter Poschlod im Ulmer-Verlag erschienenen Buch zur Geschichte der Kulturlandschaft und einem Artikel in der Zeitschrift Biological Conservation belegte. Dazu kommt der Einsatz von Insektiziden, die auch in nicht tödlichen Dosen neurotoxische Wirkungen haben und das Verhalten der Insekten verändern. Zahlreiche Studien belegen dabei die besondere Bedeutung von Neonicotinoiden. Diese Insektizide binden an spezielle Rezeptoren (Bindungsstellen) von Botenstoffen des Nervensystems (nikotinischer Acetylcholinrezeptor) und stören so deren Funktionsfähigkeit. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Joachim Ruther konnte zeigen, dass Neonicotinoide die sexuelle Kommunikation und die Wirtsfindung einer parasitischen Wespenart und damit deren Fortpflanzung drastisch beeinträchtigen. Neonicotinoide gelangen auch in den Boden und das Wasser, und in einer prominenten in Nature veröffentlichten Studie wurde von einem direkten Zusammenhang zwischen der Konzentration von Neonicotinoiden im Oberflächenwasser und dem Rückgang von Insektenfressenden Vögeln in den Niederlanden berichtet. Auch wenn der Freilandeinsatz der drei am häufigsten verwendeten Neonicotinoide inzwischen von der EU verboten wurde, so gibt es eine Reihe ähnlich wirkender Stoffe, deren subletale Effekte bisher kaum untersucht wurden.

Das Volksbegehren "Rettet die Bienen", ist das erste in der Geschichte der Bundesrepublik, das direkt den Schutz von Flora und Fauna, also klassischen Naturschutz zum Ziel hat. Hauptanliegen des Volksbegehrens sind nicht nur die Bienen, vor allem die oft wenig bekannten Wildbienen, es geht um die generelle Erhaltung oder Wiederherstellung der Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren und von natürlichen Ökosystemen und deren Prozesse. Der offizielle Titel des Volksbegehrens heißt deshalb etwas sperrig: "Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern - Rettet die Bienen!". Zentrale Ziele sind eine bayernweite Vernetzung von Lebensräumen zu schaffen, strukturreiche Ackersäume, Büsche, Bäume und kleine Gewässer in der Agrarlandschaft sowie naturbelassene Randstreifen an Gewässern zu erhalten, 10 % aller Wiesen in Blühwiesen umzuwandeln, staatliche Flächen pestizidfrei zu bewirtschaften und der Naturschutzausbildung, zum Beispiel bei Land- und Forstwirten, einen höheren Stellenwert zu geben.
Erfolgreiche Volksbegehren und daraus resultierende Volksentscheide können in der Tat einiges bewegen: Die letzten zwei Volksbegehren öffneten den Weg zum Rauchverbot in der Gastronomie (2010) und zur Abschaffung der Studiengebühren in Bayern (2013).
Das aktuelle Volksbegehren kann den Weg für eine Volksabstimmung ebnen und ist ein wichtiger Schritt, die politischen Entscheidungsträger zu veranlassen, dem Umweltschutz und nicht nur wirtschaftlichen Interessen eine hohe Priorität zu geben. Es kann uns optimistisch stimmen, dass aktuell ein Umdenken sowohl in der Bevölkerung als auch bei Politikern bezüglich der Erhaltung der Natur und der Ökosysteme stattfindet, ein Paradigmenwechsel, den jeder mit einer Unterschrift zum Volksbegehren in seinem zuständigen Rathaus (mit Ausweis!) zwischen 31. Januar und 12. Februar 2019 unterstützen kann.
Doch kann der Einzelne überhaupt etwas beitragen, um dem Verlust wertvoller Ökosysteme und der Artenvielfalt entgegenzuwirken? In der Tat können wir Umweltbewusstsein aktiv leben. Wir können zum Beispiel unseren Energie-, Fleisch- und sonstigen Konsum als Verbraucher hinterfragen (müssen zum Valentinstag wirklich Rosen aus afrikanischen Gewächshäusern sein?) oder unsere Gärten als kleine wilde Oasen der biologischen Vielfalt bewahren, was nichts anderes heißt, als darauf zu verzichten, „Unkräutern“ oder besser „Wildkräutern“ permanent den Kampf anzusagen.
Die Biologen der Fakultät für Biologie und Vorklinische Medizin an der Universität Regensburg, insbesondere die Hochschullehrer der Zoologischen und Botanischen Institute, der Pädagogik und des Botanischen Gartens sind für die qualifizierte Ausbildung junger Biologen, Biologie-Lehrer und engagierter Umwelt-Pädagogen verantwortlich, um eine solide Artenkenntnis in die nächsten Generation zu bringen. Nur wer die Vielfalt der Arten und ihre komplexen Interaktionen in ökologischen Systemen kennt, kann den Verlust der Biodiversität und Veränderungen der Ökosysteme wissenschaftlich nachweisen.